Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und journalistisches Gespür. Diese Kombination war es, durch die mein Mitschnitt einer Rede von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) einige Tage bayerische und auch nationale Medien beherrschte. In Rundschau und Abendschau und bei BR24 machten wir die, wie ich finde unverantwortliche Aussage des stellvertretenden Bayerischen Ministerpräsidenten öffentlich. Wohlgemerkt war es kein Kommunalpolitiker oder Hinterbänkler, der diese Aussage gemacht hat: “Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständiger Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte und wir würden die Schwerkriminellen einsperren.“
Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister, sagte das bei der Eröffnung der Internationalen Jagd- und Schützentage auf Schloss Grünau am Freitag, 11. Oktober 2019. Normalerweise verbreiten Grußworte von Ministern bei Veranstaltungen wie dieser eher Langeweile und ich schneide sie nicht mit. Doch hier wurde mir schnell klar, dass Aiwanger seinen Jägerfreunden etwas beweisen wollte. Und so filmte ich die Rede, die nicht nur wegen dieses Zitats unverantwortlich war. Aiwanger nutzte den Auftritt, um gegen alle, die anders denken und ticken als er zu polemisieren. Weitere Zitate:
„Wir müssen uns jetzt öffentlich noch mehr gegen diese Spinner zur Wehr setzen. (…) Wenn dann die Veganer uns angreifen, dann gehen wir mal gemeinsam drauf und sagen wir, wovon lebst denn Du überhaupt. Du lebst doch gar nicht gesund, schau Dich doch mal an. Meistens sieht man es ja schon am Aussehen an.“
„Die Natur braucht mehr denn je eine ordentliche Begleitung. (…) Und das sind nicht radikale Klimademonstranten, die sich auf die Straße setzen, sondern das sind die Jägerinnen und Jäger.“
Große Resonanz in den Medien
Viele Medien griffen das Messer-Zitat Aiwangers auf. Und es gibt daran nichts zu deuten: Aiwanger rief zur Bewaffnung und Selbstverteidigung auf. Anständige Bayern dürfen das, so sein martialisches historisches Weltbild. Gerade in Zeiten, in denen der Ton rauher wird, eine unverantwortliche Aussage. Die Kommentare der Opposition und der Medien waren eindeutig.
Der BR im Online-Auftritt am 14. Oktober: „Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze beklagte, Aiwanger inszeniere sich derzeit als volkstümlicher Bierzeltminister. “Seine Empfehlung an die Bayerinnen und Bayern, im Alltag ein Selbstverteidigungsmesser mitzuführen, ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich”, sagte sie dem BR.
Es sei Aufgabe der Polizei, für Sicherheit auf den Straßen und Plätzen zu sorgen; sie habe das Gewaltmonopol. “Wer zur Selbstbewaffnung der Bürgerinnen und Bürger aufruft, redet einem Faustrecht das Wort.”
https://www.br.de/nachrichten/bayern/aufruf-zur-selbstbewaffnung-kritik-an-aiwanger-aussage,ResH5UO
Und am 15. Oktober zitiert der BR die Polizeigewerkschaft: „Kritik am Aiwanger-Zitat kam auch von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Bayern. Deren Landeschef Rainer Nachtigall betonte, die Sicherheitslage in Bayern sei – auch dank der Polizei – so gut, dass “wir als DPolG Bayern nichts von dem Vorschlag von Hubert Aiwanger halten”. Viel wichtiger wäre laut Nachtigall, erst einmal ein “Lagebild Messerangriffe” zu erstellen, “ob überhaupt so viele Messerangriffe stattfinden oder ob es nur ein subjektives Gefühl durch die Berichterstattung ist”.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/messerindertasche-aiwanger-bezichtigt-gruene-der-luege,Rey0HXJ
Aiwanger und der Rechtsstaat
Hubert Aiwanger macht das, was man in solchen Situationen gerne macht – man geht zum Gegenangriff über. Er bezichtigt die Grünen der Lüge, sagt die Vorwürfe seien „zusammengelogen“. Naja, so einfach ist es nicht. Seine Aussage ist schließlich dokumentiert und eindeutig. Und auch Aiwangers Satz, dass man Schwerkriminelle wegsperren müsse, mutet schon merkwürdig an in einem Rechtsstaat. Der Freistaat Bayern sperrt Schwerkriminelle weg und Aiwanger ist Teil der Regierung dieses Staates.
Auch der Kommentar „Aiwangers beschämende Messer-Äußerung“ aus der Süddeutschen Zeitung vom 15. Oktober ist eindeutig:
„Egal, wie lange Hubert Aiwanger noch Wirtschaftsminister sein wird, er wird als Politiker in Erinnerung bleiben, der von einer Peinlichkeit zur nächsten stolperte. Er selbst gefällt sich anscheinend immer besser in der Rolle des Spalters und Provokateurs. Der klassische Aiwanger-Auftritt funktioniert stets nach gleichem Muster: Er spricht ein Thema auf möglichst schlichte Weise an und teilt dabei die Welt in “Die” und “Wir”. “Die” sind immer Veganer, Grüne, Städter und sonstige Deppen. “Wir” sind brave, anständige, vernünftige Bürger, Bauern, Schützen, Autofahrer oder geerdete Niederbayern.
Leider gibt es mehr als genug Leute, die auf diesen klassischen Populisten-Trick reinfallen und Aiwanger für jeden Unsinn zujubeln. Auf den Internationalen Jagd- und Schützentagen auf Schloss Grünau sagte er am Wochenende: “Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte, und wir würden die Schwerkriminellen einsperren. Das wäre der richtige Weg.”
Das sind beschämende Sätze für einen stellvertretenden Ministerpräsidenten. Er ist also anscheinend der Meinung, dass Schwerkriminelle hierzulande nicht eingesperrt werden – da könnte er sich vielleicht mal beim Innen- oder Justizminister informieren, wie Polizei und Justiz funktionieren. Dann wüsste er auch, dass speziell “Schwerkriminelle” sehr wohl eingesperrt werden. Seine Äußerung lässt sich aber auch so interpretieren, dass sich anständige Bürger mit Messern bewaffnen sollten, weil Bayern unsicher ist. Das ist nicht nur falsch, es ist sogar gefährlich, auch wenn es Aiwanger anders gemeint haben will.
Mit dem eigentlichen Thema – dem möglichen Verbot von bestimmten Messern in der Öffentlichkeit und den Sorgen der Brauchtumsvereine – hat Aiwangers Dahergerede nichts mehr zu tun. Aber es geht ihm ja auch um das Schüren von Emotionen und nicht um praktische Politik, die halt immer ein bisschen komplexer als ein Stammtischspruch ist. Am Wochenende treffen sich die Freien Wähler zur Landesversammlung. Man darf gespannt sein, auf wen Aiwanger dann eindrischt und wie lange die Partei seine Ausfälle noch mittragen will.“
https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-aiwanger-messer-waffen-kommentar-1.4641863
Mit Humor
Und dann die Versuche, die Entgleisung mit Humor leichter erträglich zu machen:
Zum Beispiel bei „Ringlstetter“ im BR Fernsehen
https://www.br.de/mediathek/video/ringlstetter-aiwanger-und-das-messer-av:5da97416655a6f001a5b16c7
Das Ende der Welt von Helmut Schleich
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowelt/ende-der-welt-messer-hubert-100.html
Die Glosse aus dem ZEIT Magazin vom 16.10.19.
https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-aiwanger-messer-waffen-kommentar-1.4641863