Gauck in Tutzing: Diskurs und Demokratie

„Wir können nicht davon ausgehen, dass wir die Bekloppten irgendwie ausrotten.“ Diesen für einen Bundespräsidenten bemerkenswerten Satz sagt Joachim Gauck mit Blick auf die extremen Entwicklungen in Deutschland. Und Gauck macht auch deutlich, wenn er damit meinte: diejenigen, die mit ihren Hasskommentaren im Netz Stimmung machen. Doch die deutsche Demokratie sei stark: „Unsere Vision ist das, was unsere Mütter und Väter errichtet haben: die Demokratie.“ Denn eine bessere Staatsform gibt es aus heutiger Sicht nicht. Beim Neujahrsempfang der Evangelischen Akademie Tutzing richtet der scheidende Bundespräsident seinen Blick auf die medialen Entwicklungen in Deutschland. Gauck hält keine Rede für die Geschichtsbücher aber eine analytische, die angesichts von Besorgnis erregenden Entwicklungen in Deutschland die Augen öffnet.

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In bestimmten Schichten am Rand der Gesellschaft spielten die klassischen Medien kaum noch eine Rolle, so Gauck. In diesen politischen Milieus schwinde das Vertrauen in die Demokratie und die politischen Eliten. Die Sprache verrohe, die Gesellschaft zersplittert.

Die Menschen aus diesen Schichten holen sich die Informationen vor allem aus den Sozialen Netzwerken. Mit dem großen Problem, dass die Algorithmen zum Beispiel von Facebook dem Nutzer vor allem die Informationen bringen, die er bereits kennt und die er lesen will. Man fühle sich wohl unter denen, die der gleichen Meinung sind. Das sei gefährlich, so Gauck. „Wenn Du ein Thema mit dem Brandbeschleuniger Angst behaftest, dann kommt die Debatte sehr schnell in Gang“ und Angst werde salonfähig.

Die klassischen Medien verlieren an Bedeutung, obwohl sie gerade heute so wichtig seien. Die traditionellen Medien als Lügenpresse zu bezeichnen, sei „eine wirklich groteske Überzeichnung und in sich schon infame politische Propaganda“. Er wisse was Lügenpresse sei, schließlich habe er sie jahrzehntelang in der DDR erlebt.

Bedford-Strohm: Wegklicken reicht nicht mehr

Man muss sich dem Diskurs stellen und mit den Kritikern ins Gespräch kommen, sagten übereinstimmend Bundespräsident Joachim Gauck und der Evangelische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Allerdings, so Bedford-Strohm sei die einzigartige Diskussionskultur, die unserem Land seit den fürchterlichen Weltkriegen geholfen hat, in Gefahr. „Die Kübel von Hass und Verächtlichkeit, die täglich in den Internetforen ausgeschüttet werden, sind so unübersehbar geworden, dass auch ein bloßes Wegklicken nicht mehr ausreicht.“

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, dieser Satz so Bedford-Strohm sei der Dreh- und Angelpunkt der besten Verfassung, die unster Land je hatte. „Wer bewußt gegen die Schwachen hetzt, wer Angst befeuert, wer Fakten bewusst fälscht, der kann nicht versuchen, dies alles duch die Berufung auf die Meinungsfreiheit zu legitimieren. Wer die Würde des Menschen nicht achtet, kann sich nicht auf den freien Diskurs berufen.“

Bedford-Strohm und Gauck würdigten die Evangelische Akademie als Ort der Erkenntnis und des Diskurses. Sie gratulierten der Akademie zum 70. Geburtstag. Die Akademie habe mitgewirkt an der Demokratisierung des Landes, so Bundespräsident Joachim Gauck. Sie habe im ganzen Land einen Namen und sei eine eigene Marke.