Mutig gegen den Faschismus: Josef Mayr-Nusser

Vor 75 Jahren überschlugen sich die Ereignisse in Bayern und Deutschland: am 23. April wurde das Konzentrationslager Flossenbürg und am 29. April das Konzentrationslager Dachau von Soldaten der US Army befreit. Und am 8. Mai war der Krieg zu Ende und Deutschland wurde von der Nazi-Herrschaft befreit. In den Wochen zuvor haben die Nationalsozialisten noch viele Menschen ermordet, darunter Pfarrer Dietrich Bonhoeffer oder den Hitler-Attentäter Georg Elser. Aber auch KZ-Häftlinge starben. Und auch Josef Mayr-Nusser, SS-Soldat aus Südtirol, der den Führereid verweigerte. Bei uns in Bayern ein weithin Unbekannter.

Josef Mayr-Nusser: Erst sah sein Leben für mich nach einer beeindruckenden Biographie aus, die mich packte. Und über die ich einen Film machen wollte. Und dann wurde es ein Projekt mit starken Bezügen in die Gegenwart. Oder wie es mein Interviewpartner Paolo Valente, Journalist, Caritas-Direktor von Bozen ausdrückte: „Eine Geschichte, die uns heute noch viel zu sagen hat.“ – die Lebensgeschichte von Josef Mayr-Nusser.

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Ein Interview mit Paolo Valente, Experte für Josef Mayr-Nusser. Es macht nachdenklich. Und eine erste Bildergalerie mit biographischen Orten von Josef Mayr Nusser in Bozen.

Geboren am 27. Dezember 1910 auf dem heute noch existierenden Nusserhof in Bozen. Gestorben am 24. Februar 1945 bei Erlangen. Er wächst in einem frommen katholischen Umfeld auf, wird Jugendleiter in mehreren katholischen Jugendgruppen. 1942 heiratet er, ein Jahr später kommt Sohn Albert zur Welt. 1943 besetzen deutsche Truppen Südtirol. 1944 wird er zum deutschen Militär eingezogen und der Waffen-SS zugeteilt. In Konitz in Ostpreußen macht er die Ausbildung, doch er verweigert aus Glaubensgründen den Führereid und wird zum Tode verurteilt. Auf dem Weg ins Konzentrationslager Dachau stirbt er in einem Viehwaggon nahe Erlangen an den Folgen der Haft. Dort wird er bestattet. 1958 wird er nach Südtirol überführt und an der Kirche von Lichtenstern am Ritten oberhalb von Bozen beigesetzt.

Im März 2017 wird er von der katholischen Kirche selig gesprochen, danach wird er in den Bozner Dom umgebettet. Im Zuge der Seligsprechung entsteht die erste Städtepartnerschaft Bozens – mit dem fränkischen Erlangen. So bin ich auf die Spur von Josef Mayr-Nusser gekommen. Dank an meinen Freund Peter Steger, den Partnerschaftsbeauftragten der Stadt Erlangen.

„Er starb, weil ihm das Bekenntnis zu Jesus Christus mehr galt als sein Leben“, schreibt die Diözese Bozen-Brixen auf der Seite https://www.josef-mayr-nusser.it

Doch im Interview mit Paolo Valente, der über Mayr-Nusser ein Buch geschrieben hat, wird mir sehr schnell die politische Dimension bewusst. Paolo Valente sagt: „Eine Geschichte, die uns heute noch viel zu sagen hat: zum Beispiel die Bedeutung des Gewissens, was heißt es das Gute vom Bösen zu unterscheiden?“ Während es in der Zeit des Faschismus das Problem war, an die richtigen Informationen zu kommen, haben wir heute eher zu viele Informationen und die Einordnung ist schwierig.

Josef Mayr-Nusser wusste, dass seine Entscheidung, den Führereid zu verweigern, gravierende Folgen haben kann. Für ihn selbst und für seine Familie. „Wenn nie jemand den Mut aufbringt, ihnen zu sagen, dass er mit ihren nationalsozialistischen Auffassungen nicht einverstanden ist, dann wird es nicht anders“, wird er auf einer Gedenktafel am Bahnhof in Bozen zitiert.

Der Faschismus in Bozen und die Option

Meine Recherche zum Leben von Josef Mayr-Nusser führt mich auf die Spuren des faschistischen Bozen. Eine spannende Geschichte zwischen zwei Diktaturen. 

Ein kleiner historischer Diskurs: Bis zum Ende des 1. Weltkriegs gehört Südtirol zu Österreich-Ungarn, das den Krieg verliert. 1919 wird die Republik Österreich gegründet und Südtirol fällt an das Königreich Italien. 1922 kommt es in Italien zur Machtergreifung des faschistischen Benito Mussolini. Und damit beginnt die Italienisierung Südtirols. Das Land und Bozen werden umgekrempelt, Italiener werden angesiedelt und angelockt, ein großes Industriegebiet zur Ansiedlung von Italienern wird angelegt. Auch Teile des Nusserhofes werden im Rahmen der Italienisierung enteignet, um dort den Güterbahnhof anzulegen. Hinter dem sogenannten Siegesdenkmal entsteht ein neuer faschistischer Muster-Stadtteil, dessen Architektur im heutigen Bozen heute noch gut zu erkennen ist.

Schließlich kommt es 1939 zum „Hitler-Mussolini-Abkommen“ und die deutschsprachigen Südtiroler müssen sich zwischen entscheiden – in Südtirol bleiben und Italiener werden oder deutsch zu bleiben und nach Deutschland auszuwandern. „Option“ heißt diese Entscheidung. Rund 80 Prozent der Südtiroler entscheiden sich für Deutschland, wobei längst nicht soviele tatsächlich auswandern. 

„Es war eine sehr schwierige Entscheidung, eine Entscheidung zwischen zwei Diktaturen“, so Paolo Valente. Josef Mayr-Nusser war ein sogenannter „Dableiber“, entscheidet sich für Südtirol und bleibt. 

Ein Besuch in Bozen

Ein Besuch in Bozen auf den Spuren dieser Geschichte ist spannend – und hoffentlich nach dem Ende der Coronakrise auch wieder zu empfehlen. Dazu gehört unbedingt der Besuch des sogenannten Siegesdenkmals. Errichtet wurde das Monument zur Erinnerung an den Sieg Italiens über Österreich-Ungarn. Nach dem Ende des Faschismus wusste man lange nicht, wie man mit der Stein gewordenen Geschichte umgeht. Erst seit 2014 gibt es in den Räumen unter dem Denkmal die Dokumentation „Ein Monument – eine Stadt – zwei Diktaturen“, die die spannende Geschichte erzählt – der Eintritt ist kostenlos! Und dann empfehle ich dringend einen Besuch des „faschistischen“ Stadtviertels mit seiner mächtigen Architektur. Auch ein Ausflug auf den Gerichtsplatz ist spannend, ebenfalls entstanden in dieser Zeit. Im Gebäude, in dem heute die Finanzämter untergebracht sind, war einst die Faschistische Partei zuhause. Ein riesiges Relief am Gebäude zeigt u.a. Mussolini. Vor wenigen Jahren wurde direkt davor mehrsprachig ein Zitat von Hannah Arendt angebracht: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“ Ein Bruch in der Nazi-Architektur. Wer sich mit dem faschistischen Bozen auseinandersetzt, der stößt bald auf Josef Mayr-Nusser. Für Paolo Valente ist er ein „Stolperstein“: „Wenn einer Nein sagt, wo alle andere Ja sagen,  dann ist das natürlich schwierig für die anderen, das zu akzeptieren.“ Als Seliger ist er unbequem, so Paolo Valente. „Seine Geschichte zwingt uns immer uns Fragen zu stellen zur Gegenwart. Wie treffen wir unsere Entscheidungen?“ Die Botschaft Mayr-Nusser ist: Wir müssen alle ein Zeugnis ablegen.“ 

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Dietrich Bonhoeffer – Faszination und Instrumentalisierung

Dietrich Bonhoeffer fasziniert. Viele Menschen. Auf unterschiedlichste Art und Weise. Das verwundert nicht, denn Dietrich Bonhoeffer ist ein facettenreicher Theologe. Er beweist viel Mut. Seit der Machtergreifung ist er ein Gegner Hitlers, ist Mitbegründer der Bekennenden Kirche und schließt sich frühzeitig dem Widerstand an. Er wehrt sich gegen die Judenverfolgung. Und er geht konsequent seinen Weg. Er schreibt wunderbare Texte mit Tiefgang. Und sie eignen sich als plakative Kalendersprüche … “man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen.” Kein Wunder also, dass Bonhoeffer gerne zitiert und jetzt auch instrumentalisiert wird – von rechts. Dietrich Bonhoeffer – Faszination und Instrumentalisierung.

Das Leben von Dietrich Bonhoeffer, seine mutige Lebensgeschichte, begleitet mich seit 20 Jahren als Fernsehjournalist. Und wann immer ich einen Film über ihn mache, komme ich nach Flossenbürg. Ich erlebe ihn immer wieder als kalten Ort – was am Wind und an den Erinnerung an den 8. und 9. April 1945 liegt. Bonhoeffer wird hierher gebracht, um ermordet zu werden. Nur wenige Stunden ist er hier und dennoch ist er das prominenteste Opfer unter den 30.000 Menschen, die hier sterben. Er wird im Arresthof in Flossenbürg gemeinsam mit hochrangigen Militärs aus dem Widerstand erhängt.

Das Andenken an Dietrich Bonhoeffer ist lebendig in der KZ Gedenkstätte Flossenbürg, auch wenn die große Jugendbegegnung zum 75. Todestag ausfallen muss. Für die Gedenkstätte Flossenbürg und ihren Leiter Jörg Skriebeleit ist er bis heute sehr wichtig: „Bonhoeffer wird immer wieder aktualisiert. Bonhoeffer wird auch immer wieder instrumentalisiert. Das zeigt aber auch, dass Bonhoeffer als Person und in seiner Theologie eine Relevanz hat.“

Instrumentalisiert wird er unter anderem von der AfD und von den Evangelikalen in den USA im Kampf gegen Liberale, die Abtreibung oder Hillary Clinton. Die evangelische Kirche wehrt sich gegen einen Missbrauch Bonhoeffers, so auch der EKD Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm: „Politischer Instrumentalisierung Bonhoeffers muss man immer wieder ganz klar widersprechen. Für Dietrich Bonhoeffer war seine Frömmigkeit immer ganz stark verbunden mit der Weltzugewandtheit. Deswegen kann man Bonhoeffer sagen, wer fromm ist, muss auch politisch sein.“

Im letzten Jahr enthüllt der amerikanische Botschafter in Deutschland eine Gedenktafel für Bonhoeffer in Flossenbürg, unterzeichnet vom amerikanischen Präsidenten – ein Signal auch an die evangelikalen Wähler von Donald Trump. Und ein Beispiel für die falsche Instrumentalisierung von Dietrich Bonhoeffer. Spannend der Artikel “Wem gehört Bonhoeffer? Wie rechte Kreise den Theologen und Widerstandskämpfer vereinnahmen”. Von Arnd Henze, erschienen in den Zeitzeichen.

Einige meiner Beiträge über Bonhoeffer aus dem Archiv.

Tagesschau Bonhoeffer und Elser 9.4.20

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Dietrich Bonhoeffer – Faszination und Instrumentalisierung durch die AfD und die Evangelikalen in den USA. © BR Rundschau 9. April 2020

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Ein Impuls zum 75. Todestag mit Pfarrer Jens Hauschild von der evang.-lutherischen Apostelkirche in Neuburg an der Donau.  9. April 2020

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Erst zum 70. Todestag Bonhoeffers 2015 wird bekannt, dass eine mutige Tante ihn 1941 bis 1943 deckte. Denn in dieser Zeit war Dietrich Bonhoeffer in der Wohnung seiner Tante Christine Gräfin von Kalckreuth gemeldet in der Unertlstraße 1 in München polizeilich gemeldet. Da war der Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ längst konspirativ gegen die Nazis tätig. Seine mutige Münchner Tante deckte ihn und brachte sich selber in Gefahr. 2015 erinnerte die evangelische Kirche in München an Dietrich Bonhoeffer und seine Tante. © BR Stationen 2015

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Zum 70. Todestag Dietrich Bonhoeffers trafen sich in der KZ Gedenkstätte Flossenbürg 400 junge Menschen zu einem Jugendtreffen, um an den Pfarrer zu erinnern. © BR Abendschau 2015

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Dietrich Bonhoeffer lebte für drei Monate zum Jahreswechsel 1940/41 versteckt bei den Benediktinern in Ettal. Ein starkes ökumenisches Zeichen. Ein Film zum 100. Geburtstag Dietrich Bonhoeffers 2006.

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Ökumenisches Andenken an Dietrich Bonhoeffer zum 60. Todestag. © BR Abendschau 2005

Walter Kuhn: „Niemalswieder“

Seine Münchner Mohnblumen haben ihn über Nacht bekannt gemacht: mit seiner Kunstaktion „Niemalswieder“ hat sich Walter Kuhn im Herbst 2018 auf dem Münchner Königsplatz in die Herzen vieler Münchner „gepflanzt“. Jetzt hat er dafür den Preis „Münchner Lichtblicke“ bekommen – von der Stadt, dem Migrationsbeirat und dem Verein „Lichterkette“. Und das völlig zurecht.

„Frieden schaffen ohne Waffen“, Ostermärsche und die Friedensbewegung – junge Leute kennen diese Slogans, Veranstaltungen und den Einsatz für den Frieden allenfalls noch aus Erzählungen. Doch dem 72jährigen Münchner Künstler Walter Kuhn ist es gelungen, junge Leute wieder für den Frieden zu sensibilisieren. Mit seiner Installation von 3000 kunstvollen Mohnblumen auf dem Münchner Königsplatz begeisterte er Jung und Alt.

Walter Kuhn ist einer der Menschen, die bei meiner Arbeit als Fernsehjournalist und Filmemacher einen tiefen, bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Ich bin Walter Kuhn vor, während und nach der Installation seiner Mohnblumen begegnet, durfte ihn mit der Kamera begleiten und habe ihn schätzen gelernt. Ein „spätberufener Künstler“ mit einer klaren Botschaft. Unbeirrbar und zugleich liebenswert und nicht starrköpfig. Eine Begegnung mit Walter Kuhn ist eine Bereicherung. Das haben viele auf dem Königsplatz gespürt. Ohne erhobenen Zeigefinger, mit der Kraft seiner Argumente und seiner freundlichen, zugewandten Art erzählt er vom Frieden. Ein Thema, das in unseren Zeiten weitgehend aus dem Blick geraten ist. Walter Kuhn vermutet, dass es heute mit Themen wie Klimawandel, Umweltzerstörung oder Armut auf der Welt zuviele Themen gibt, für die man sich engagieren muss.

Mit einfachen Sätzen bringt er es auf den Punkt: „Demonstrationen gegen den Krieg und für den Frieden – ich meine sie sind unheimlich wichtig, immernoch! Und auch Demonstrationen gegen das Wiederaufblühen von Nationalismus, von Rechtsradikalen, von Fremdenfeindlichkeit.“ Und: „Wenn es möglich wäre, den Rüstungsetat nur eines einzigen Jahres von über eineinhalb Billionen Dollar für die Entwicklungshilfe auszugeben, dann hätten wir ganz viele Probleme gemildert oder teilweise gelöst.“ Klar benennt er die Zusammenhänge. Kriege treiben Menschen in die Flucht, machen sie zu Flüchtlingen; Entwicklungshilfe hingegen könnte dafür sorgen, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben könnten. Und dadurch würden auch weniger Flüchtlinge zu uns kommen.

Bei der Stiftung Kolibri engagiert er sich für Flüchtlinge; besonders der Syrische Flüchtlingschor in München hat es ihm angetan, den er nach Kräften unterstützt. Die jungen Syrer, die in Deutschland auf der Flucht eine neue Heimat gefunden haben, haben wiederum Walter Kuhn bei seiner Kunstaktion „Niemalswieder“ auf dem Königsplatz unterstützt.

Seine Mohnblumen übrigens werden nicht verschwinden. Viele der 3000 Exemplare vom Königplatz sind bei seinen Unterstützern und Spendern gelandet. Und schon sind weitere Aktionen mit den Mohnblumen geplant.  Denn das Bild der Mohnblumen als Symbol für den Frieden ist über die Medien weltweit aus München hinaus getragen worden.

Impressionen und Beiträge über Walter Kuhn und Niemalswieder:

https://youtu.be/COknLwa-_fE

https://youtu.be/aoorChewpco

https://youtu.be/1sWsv0NCzI4